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Lettland: Ein Land, das die Freundschaft unter einem Hügel begraben hat – Gaiziηkalns





Gaiziηkalns: So grausam kann ein Gipfel aussehen ...


Lilioma Dziesma - Latviešu Dziesmu Svetki 2001: http://www.youtube.com/watch?v=F5UfWoLbRwE

Gaizinkalns trip: https://www.youtube.com/watch?v=MCT4wJkMGx4


Auszüge:


"Ich liebe das Alleinsein auf Reisen – es erlaubt mir mich zu konzentrieren und mich zu versenken in das, was ich sehe und was ich sehen will. Denn mein Reisen ist selektiv. Ich halte mich lange an Stellen auf, die meine Aufmerksamkeit erregen, und an denen jede Reisegruppe achtlos vorbeiziehen würde. Ich muß daher, um richtig reisen zu können, allein sein. Aber muß ich deswegen auch einsam sein? Worin besteht sie eigentlich, die Einsamkeit? Es kann nicht einfach die Abwesenheit der anderen sein. Man kann allein sein und überhaupt nicht einsam, was also ist es?

Mitten im Trubel kann ich einsam sein. Es geht nicht nur darum, daß andere da sind, die den Raum um mich ausfüllen. Wenn ich Fremdkörper inmitten einer Gesellschaft alter Bekannter bin, die munter miteinander plaudern und mich nicht beachten, dann bin ich einsam; das ist noch gut verständlich. Einsamkeit durch Ächtung. Doch auch wenn sie mich feiern oder in einem freundschaftlichen Gespräch sich mir zuwenden, selbst dann kann es sein, daß ich mich einsam fühle. Einsamkeit durch aufgezwungene Unfreiheit. Dann möchte ich ihnen sagen: „Ich brauche das alles nicht, ich genüge mir selbst, bin mir selbst Gesellschaft genug; ich möchte nicht euer Sklave sein.“ Einsamkeit ist also nichts, was mit der Anwesenheit anderer zu tun hat, und auch nicht mit dem, was sie tun. Womit dann? Womit dann, um alles in der Welt?

Ich ertappe mich, daß ich in meiner Einsamkeit oft genau das tue, was ich so wenig schätze, wenn es andere mir antun: Ich dränge mich anderen auf, tue wichtig, möchte beachtet werden, bewundert. Und wenn ich's dann werde, wenn eigentlich alles so eintrifft, wie ich es gern hätte, dann lenke ich die Unterhaltung auf eine provokante Bemerkung, stoße die anderen vor den Kopf – und fliehe in meine Einsamkeit zurück. Ich will nicht, daß irgend jemand irgend etwas von mir erwartet. Warum, zum Teufel, fällt es mir dann so schwer mich abzugrenzen? Da sind sie wieder, die Grenzen und das Grenzenlose: Nicht nur im Gelände, sondern auch in den Landschaften meiner Seele.

Wird alles, was ich tue, aus Angst vor Einsamkeit getan? Verzichte ich deswegen auf all die Personen und Dinge, die mir begegnen, ich aber ihre Freundschaft ablehne, sie nicht aufgreife, aus Angst, ich würde es am Ende des Lebens bereuen? Sage ich deshalb so wenig, was ich denke? Weshalb sonst halte ich an trägen Bekanntschaften, verlogenen Freundschaften, langweiligen Geburtstagsessen fest? Was geschähe, wenn ich all das aufkündigte, der schleichenden Erpressung ein Ende setzte und zu mir selbst stünde? Wenn ich meine geknechteten Wünsche und die Wut über meine Versklavung hochschießen ließe wie eine Fontäne? Denn die befürchtete Einsamkeit – worin besteht sie eigentlich? In der Stille ausbleibender Vorhaltungen? In der fehlenden Notwendigkeit, mit angehaltenem Atem über das Minenfeld vertraulicher Lügen und freundschaftlicher Halbwahrheiten zu schleichen? In der Freiheit, beim Essen niemandem gegenüber zu sitzen? In der Fülle der Zeit, die sich auftut, wenn das Trommelfeuer der Verpflichtungen und Termine verstummt ist?

Ist das nicht wundervoll? Ein paradiesischer Zustand? Weshalb also die Furcht davor? Ist es am Ende nur eine Furcht, die darin besteht, daß ich ihren Gegenstand nicht durchdacht habe? Eine Furcht, die mir von gedankenlosen Mitmenschen eingeredet worden ist?

Ich liebe die Einsamkeit. Ich liebe es zu spüren, wie mich andere beneiden, wenn sie sehen, wie groß meine Freiheit geworden ist. Ich liebe es zu spüren, wenn sie daraufhin meine Gesellschaft suchen. Ich liebe es, ihnen diesen Gefallen nicht zu tun. Ich will einsam sein und bleiben. Einbildungskraft reicht. Intimität brauche ich kaum. Niemand möge kommen und mich zwingen, zwischen beiden zu wählen."





Wer Freundschaft erfahren will, braucht eine Spezial-Erlaubnis


Im Dorf Pasiene ist niemand unterwegs. Kein Mensch auf der Dorfstraße. Alles marod und verfallen, ausgenommen die herrliche Barockkirche, die frisch weißgetüncht und mit neuem Dach versehen, dem totalen Kollaps Widerstand leistet. Einziger möglicherweise lebendiger Punkt im Ort ist ein sogenanntes "Café"  gegenüber der Kirche. Drin eine resolute Besitzerin, die sofort weiß, was ich will, als ich sie auf russisch frage, wo es den Propusk denn gäbe, und mir den Weg zu einer Funk-/Radarstation weist. Dort seien die „Pogranitschniki“, die Grenzsoldaten. Die Station ist von einem Zaun umgeben. An der Tür eine Klingel. Ich ziehe die Luft ein und sondiere. Ein mürrisch aussehender, älterer „Soldat“ kommt aus dem Gebäude, das den Namen „Nodalas Dezurants“ trägt – zu Hause entziffere ich dies mit meinem Wörterbuch als „Etappenhengste“, ein in der lettischen Militärumgangssprache üblicher Begriff für "Abteilungsleiter". Er hört sich mein aus russischen Bruchstücken bestehendes Gestammel an. Will meinen Paß sehen. Wohin ich „dann“ – patom sagt er – wolle? (Soll heißen, ob ich die Grenze hier überqueren wolle.) Nun, nach Estland und dann wieder zurück nach Deutschland. Er überschüttet mich mit einem Wortschwall und schaut mich feindselig an. „Auto hierhin stellen, weg von der Straße!“ Ich solle warten; er geht unlustig ins Haus zurück. Sonst habe ich keine Chance, irgendwas zu verstehen. Er schließt das Tor auf, geht in den Komplex mit Funkantenne und schließt hinter sich wieder zu. Läßt mich regelrecht stehen.

Was nun? Noch denke ich nach, da kommt schon der nächste Uniformierte die Straße hoch. Ich schräg zu ihm hin. Der Uniformierte zeigt kein Interesse, ignoriert mich, wartet, bis ICH anfange zu reden. Ich stammele mein Sprüchlein. Er reagiert freundlicher, nimmt mich gleich mit ihm hinein durch das Tor in die Baracke. Er ist der Chef des Grimmigen.    

Er bittet mich hereinzukommen und im Dienstzimmer in einer Ecke Platz zu nehmen.  Das Haus ist offenbar die besagte „Grenzstelle“, Robezsardze auf lettisch. Ein paar Anweisungen an den Grimmigen, und der übernimmt mich wieder. Ich finde mich in einem Raum voller Computer und Videocams, wo reihum im Minutentakt wechselnd in acht sich wiederholenden stationären Aufnahmen die Umgebung der Baracke abgesucht wird. So kann ich per Video immer mal einen virtuellen Blick auf ein nebulöses Waldstück, das offenbar von hier aus überwacht wird, und mein Auto draußen werfen. Hinsitzen in die Ecke! Sitzenbleiben! Nicht aufstehen, auch nicht über die Schulter schauen! Und dabei wäre es hilfreich, würde ich dem Grimmigen direkt sagen können, was er wo in sein Formular reinzuschreiben hat.

Die Prozedur des Ausstellens eines Propuskes ist mühsam. Erst werde ich in eine Ecke des Raums gesetzt, von der aus ich wenig Überblick habe, dann nimmt der Beamte breit auf seinem Schreibtischsessel Platz. Alle herumliegenden Formulare müssen zur Seite gewischt werden, um Raum für eine Schreibfläche zu schaffen. Dann breitet er umständlich verschiedene Vordrucke vor sich aus.

„Paß!“ Ich hole meinen Paß hervor. Der Beamte legt den Paß vor sich hin. Schnauft. Nimmt den Paß in seine Wurstfinger und blättert ziellos darin herum. Entdeckt das russische Visum für Kaliningrad und studiert es eingehend. Blättert weiter.

„Zum ersten Mal hier? – Perwom raz?“ „Da“. Der Beamte nimmt sich jetzt die Seite mit den Personalien vor. Vergleicht das Paßbild mit meinem Gesicht. Ich lasse aus meiner Ecke heraus vernehmen: „Familija Schaub, imija Wolfgang“. Grunzen als Antwort. Er bleibt an dem Wort „deutsch“ hängen. Ich stehe von meinem Stühlchen auf, schaue ihm über die Schulter: „Nemetskij“. Und was ist das? „Heidelberg“. Er klammert sich an meiner Heimatstadt fest. „Gorad ...“, na, verdammt, was heißt „Heimat“ auf russisch? Das hab' ich doch in meinem Sprachkurs gelernt! Und schon wieder vergessen?! Ich muß in meinem Wörterbuch nachschlagen: Geburtsort = Mesto rodzdenija. Aha. Radnoij gorad hätte ich sagen wollen – wie konnte mir das gefühlsschwangere Wort „Rodina“ für „Heimat“ entfallen sein!? Nicht nur das, ich hätte es auch in den Genitiv setzen müssen, um es mit „Gorad“ = Stadt zu verbinden; ich hätte es dazu auch noch richtig in den Genitiv setzen müssen – oh verdammtes Russisch, warum machst du mir das Leben so schwer!

Gejdel'berg also. Ah so. Der Beamte ist's zufrieden. Jetzt ist der äußere Umschlag des Passes dran. Es handelt sich um einen ganz normalen Paß, weinrot wie alle deutschen Pässe, seit man obenan über das „Bundesrepublik Deutschland“ auch noch „Europäische Union“ gestellt hat. So was hat er noch nie gesehen: „Oi-ro-päi-sche Union“ buchstabiert er laut. Und: „Bun-des-re-pu-blik Deutschland. Ich helfe ihm: „Federativnaja Respublika Girmanija.“

Was denn das für ein Paß sei? Oh Mann, laß mir meine Ruh! Halt ein Paß, ganz normal. "Reisepaß", liest der Grimmige laut und schaut mich mißtrauisch an. Ach so ja, Reisepaß halt eben. Er kann es kaum glauben, greift zum Telefon, ruft eine übergeordnete Dienststelle an. Buchstabiert wieder die Umschlagseite. Läßt sich amtlicherseits erklären, wie ein deutscher Reisepaß aussieht. Anscheinend ist alles in Ordnung. Tief atmet er ein und holt das Berichtsformular heraus. Dann schreibt er eine Weile, immer wieder tief ein- und ausatmend, ächzend. Überträgt alle Daten. Doch nicht genug: Da ist auch noch das Meldebuch. Auch dorthinein wird alles säuberlich eingetragen. Das soll ich unterschreiben.

„Ah, falsch!“, entfährt es mir. „Ich heiße nicht 'Deutsch, Wolfgang'; 'Schaub, Wolfgang“ muß es heißen!“ Alles wird umständlich korrigiert. Dann holt der schwergeprüfte Beamte ein schönes, postkartengroßes, magentarotes Propusk-Kärtchen mit symbolischem Fingerabdruck als Hintergrundmuster hervor – dazu muß er extra aufstehen und die Schublade des Aktenschrankes aufziehen – und füllt auch dieses aus: Zählnummer, Datum, Name, Vorname, Paß-Nummer, Zweck, Gültigkeitsdauer. Bis übermorgen muß ich meine Besichtigung des Freundschafts-Grabhügels hinter mich gebracht haben – danach gilt der Propusk nämlich nicht mehr.

Jetzt wird der Propusk vorsichtig in den Paß eingelegt. Ich quittiere den Empfang und bestätige die Richtigkeit der Einträge. Er schreibt meinen Namen in ein Logbuch, was ebenfalls zu unterschreiben ist. Der Beamte schiebt sich energiegeladen schräg über die Schreibtischkante, steht gravitätisch auf zu voller Höhe und überreicht mir formvollendet die ineinandergefalteten Dokumente mit der linken Hand. Die rechte streckt er aus, um meine zu schütteln. Warmer Händedruck. (Erfahrung in der Sowjetunion: Man schüttelt immer gleich Hände). Ich bedanke mich überschwenglich, stecke den Paß mit dem Propusk schnell weg und umfasse mit beiden Händen seine Rechte: „Blagadarju, bolschoj spassibo, do zwidanje.“ „So“, sagt er, „alles gut“.

Der Akt ist vorbei, überstanden. Alles liebe Seelen, die Grenzbeamten. „Caurlaide“ heißt das Ding, alles zwischen „Paß“ und „Erlaubnis“. Ich stürze hinaus. Fest halte ich den Propusk in meiner Hand, als ich durch das Metalltor des Zauns hinaus auf die Dorfstraße trete, wo mein Subaru auf mich gewartet hat. Ich habe den Propusk! Ich habe ihn!!





Allee zum Freundschaftshügel




Draudzibas kurgans – Kurgan druzhby – Freundschaftshügel: LV - BY - RU



"In derselben Richtung wie ich gekommen war führt durch den Hof und darüber hinaus aufs Feld eine gewundene Wegspur, zuletzt durch ein Kornfeld trichterartig auf einen Waldrand zu. Am Wald angekommen, erspähe ich zur Linken zwischen den Bäumen seltsame Holzkonstruktionen. Durch Wildwuchs stolpernd erreiche ich einen Wall mit Graben, der nach links hin zu einer Gedenkanlage mit einem hölzernen Torii, dahinter drei Holzlaternen mit aufgesetzten Sonnensymbolen führt – das verklärte Ensemble würde  glatt nach Japan passen. Nochmals dahinter komme ich zu einer Anlage mit einträchtig um einen zentralen Stein stehenden Grenzpfählen. Links der schlichte lettische, rechts der mit den Farben Litauens und dazwischen, in rot-weiß und nach hinten versetzt, der weißrussische mit Plakette und Aufschrift. Von Weißrußland her, also von Süden, erreicht ein Holzplankenweg die Stätte.

Absolute Stille, niemand zu sehen. Traue mich nicht nahe heran. Steht da nicht ein Wachsoldat im weißrussischen Wald? Noch im Abdrehen fange ich mit dem Augenwinkel seine Gestalt ein und registriere, wie er mich beobachtet. Mache, daß ich wegkomme. Grenzen im Baltikum sind mir unheimlich geworden."



LV - LT - BY
Dazu Skyforger – Gatavs biju karavirs – Bin bereit als Soldat:
http://www.youtube.com/watch?v=8Ttj6nrGdJM&feature=youtu.be

Gatavs biju karavirs,
Gatavs kara kumeliηš

TÄs dieniηas vien gaidiju
Kad zilite ziηu dev'
Pa vartiem izjadams
Riksti duru pavarte
Ja ta auga, ja zaloja
Gaidat mani parejot
Ja neauga, nezaloja
Negaidati, neparieš'
Uz kariηu aiziedams
Krustu cirtu ozola
Lai neraud tevs, mamiηa
Lai raud krusta ozoliηš
Bereit war ich als Krieger,
Bereit war das Kriegspferd,
Ich wartete nur auf das Zeichen,
Das die Meise zwitschern würde,
Um aus dem Tor zu reiten.
Dort steckte ich die Gerte hin.
Wenn sie treibt, wenn sie grünt,
Warte auf meine Rückkehr.
Wenn sie nicht treibt, nicht grünt,
Musst du nicht länger warten.
Als ich in den Krieg zog,
War das Kreuz an der Eiche abgeholzt.
Weine nicht, Vater, Mutter,
Weint um das Kreuz an der Eiche.



 

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