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Buch Q      Rund um die Ostsee




Spitzbergen im Mai - ein Naturtor


"Die Sonne wird sich gegen 10 Uhr abends senken, wird über den Fichtenwipfeln entlangstreifen und ein seltsam unbestimmtes Zwielicht verbreiten. Wolken am Horizont, falls es überhaupt welche gibt, werden in überirdischem Rot erstrahlen, wenn sich die Sonne dahinter zu verstecken sucht.

Da sitze ich nun in meinem Subaru Libero und habe gerade mein Abendessen eingenommen. Wie üblich ist das auf dem Armaturenbrett ausgebreitet – zum Glück haben meine Autos nie einen Airbag gehabt, so daß man noch breit hinter dem Steuerrad alle möglichen Döschen und Näpfchen verteilen kann, ohne daß diese auf der schiefen Ablage herunterrutschen. Auch eine Tomate dazu und einen Schluck von dem mitgebrachten Äppelwein, wenn er sich bis hier oben gehalten hat und nicht schon vorher geleert wurde. Da schreibe ich dann Tagebuch.

Neben mir plätschert der Piteälven. Kein Windhauch, kein Rauschen in den Fichten. Die Fenster habe ich weit geöffnet, um zu lauschen, was sich um mich herum alles abspielt. Jetzt ist es schon Mitternacht und ich sitze noch immer da und entschließe mich nicht, endlich schlafen zu gehen. Wieder so ein Moment, wo ich anfange nachzudenken, was das eigentlich ist, was ich so tat und tue. Wieder so ein Moment, wo ich zu keinem Ergebnis komme – alles verschwimmt – die Sonne hinter den Nachtwolken und das Plätschern des Wassers.

Auf einem Wipfel gegenüber der Bucht, an der ich stehe, sitzt etwas Großes, Schwarzes. Ab und zu nickt das Große Schwarze und zeigt Konturen. Da sehe ich die Ohren mit den Pinseln dran: ein Uhu. Auch er denkt und wartet.

Längst ist der letzte Wurstzipfel verspeist, der letzte norwegische Ziegenkäse eingeschoben, das Tagebuch zugeklappt. Ich falte die Hände. Was tue ich denn da? Drücke die Finger der beiden Hände ganz fest aneinander und wende den Blick nach innen. Wie nennt man so was? Im Unterbewußtsein spule ich mein ganzes Leben ab. Danke dafür, daß ich noch lebe. Ist das Beten? Dann die Hände vor die Stirn, die Daumen unter die Backenknochen in die Wangen gepreßt. Was wird morgen sein? Was jenseits? Warum überhaupt alles?

Der Piteälven plätschert weiter. Leise gluckern die Wellen keine drei Meter von meinem Auto entfernt. Der Uhu nickt wieder und läßt ein laut-dumpfes „Buho, buho“ erschallen. Meint er mich?

Ich lasse Zeit verstreichen. Zu Hause schlafen jetzt alle. Meine Zeit ist unabhängig. Die Sonne ist nicht recht untergegangen und wird auch nicht mehr untergehen. Niemand wird an mich denken, nicht in diesem Moment. Ich atme Alleinsein. Der Uhu nickt wieder und ruft: „Buho, buho“. Ein Windstoß weht zum Fenster herein. Jetzt schlafen?

Jetzt schlafen? Plötzlich reiße ich meine Hände vom Gesicht, umfasse das Steuerrad und wache auf. Noch ist der Tag ganz jung und die Sonne noch nicht wieder über die Fichten gestiegen. Noch lebe ich. Noch habe ich Meilen zu machen bis zum Kebnekaise.

Ich drehe den Schlüssel im Schloß. Erschreckt fährt der Uhu auf und schlägt mit den Flügeln über den Piteälven ans andere Ufer, verschwindet im Dunkel des Waldes. Wieder ein Tag. Wieder rollen die Räder. Schlafen kann ich ein ander mal.

Angenommen, ich hätte bei solchen Reisen einen Begleiter oder meine Frau dabei: Wann würdest denn Du gerne schlafen gehen? Etwa auch nicht? Oder dann, wenn ich stattdessen gerade fahren will? Wirst Du denselben Rhythmus haben oder ständig Kontrapunkte setzen? Kannst Du den Mund halten, wenn es angesagt ist? Kannst Du die Stille aufsaugen? Kannst Du auch beten? Störst Du eigentlich nur auf solchen Fahrten?

Und während ich noch die ersten Kilometer in die Nacht hineinrolle, die keine ist, überfällt mich wieder der Song von gestern, den sie im Radio spielten: Murray Heads 'Say it ain't so, Joe' von 1975."



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