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Impressum

 

Verstrahlt, verseucht, verlassen – die russische Enklave San'kova Medvezh'e in Weißrußland


Einsame, entvölkerte 4,5 Quadratkilometer im Südosten Weißrußlands

 

RADIATSCHIONNAJA OPASNOST' – WCHOD I WJEZD ZAPRESCHTSCHEN – Strahlengefahr – Zutritt und Einfahrt verboten

Begibt sich ein Bergsteiger freiwillig in solche Gefahren? Aber natürlich!

 

1985, als die Karte N-36-32 des sowjetischen Generalstabs entstand, war die Welt in der Enklave noch in Ordnung. Heute sind die Weiler "Sanin-Lichtung und Bärenhain" in Ruinen und alles ist verstrahlt.

 

Auszüge:

 

Oder läßt sich ein Bergsteiger von so etwas abschrecken? STOJ, NAZAD! GRANIZA ZAPRETNOJ ZONY – Prochod (Projezd) zapreschtschen – zapreschtscheno razwedenie ognja (kostrow), strel'ba iz ognestrel'nowo oruzhija

HALT,  ZURÜCK! GRENZSPERRZONENZugang (Durchfahrt) verboten – Feuer anzünden (Lagerfeuer), Schießen aus Feuerwaffen verboten

Nein, kein Grund um aufzugeben!


"An Dobrusch vorbei fahre ich unbekümmert weiter nach Osten, der russischen Grenze entgegen. Das kann nicht lange gut gehen – ich kenne die Angst der Russen vor Grenzen. Und richtig: Als der Abzweig der Nebenstraße nach Korma  kommt, südöstlich der großen Fernstraße, bleibe ich an einem Post wesogabaritnowo kontrol' hängen, einem „Posten zur Gewichts- und Abmessungskontrolle“. Das ist wohl für Lastwagenfahrer gedacht, die über die Grenze wollen. Von mir wollen die bulligen Typen in dem Kontrollhäuschen am Straßenrand, daß ich die russische Autoversicherung zahle. Es dauert eine Weile, bis es mir gelingt, den Kameraden zu erklären, daß ich heute gar nicht über die Grenze will – ich muß vermeiden, mein eigentliches Ziel, die Enklave von San'kova Medvezh'e zu nennen, denn vermutlich ist es verboten, dorthin zu fahren. Doch letztlich kann ich mir nicht helfen und ziehe meine Landkarte zur Erläuterung hervor. 'Heute nur ein paar Kilometer weiter, dann links, sehen Sie, hierhin wo das Kringelchen ist, dann wieder zurück nach Gomel'.' Jetzt denken sie wahrscheinlich, ich spinne; so ein seltsames Anliegen trägt hier kaum jemand vor. Aber es geht – sie lassen mich ziehen."


"Ich lasse mich nicht beirren; schließlich kann ich die Schilder als Deutscher ja nicht lesen. Einem Deutschen ist nicht zuzumuten, daß er femde Sprachen kann. Jetzt kommt ein Bahnübergang; es ist die Linie vom weißrussischen Gomel' zum russischen Nowozybkow, die hier kreuzt, und wieder bedeutet das Schilder. Doch das sind eher harmlose.

Dann allerdings kommt es wieder schärfer: Stoj! steht da unmißverständlich vor einem Militärposten, der aussieht wie ein Konzentrationslager. Halt! Ich peile, ob ich hinter den Mauern und Stacheldrähten Bewegungen erkennen kann, aber da ist nichts: Der Posten scheint unbesetzt. Jedenfalls ist das kein geeigneter Ort für weitere Fotos; ich muß mich beim Fotografieren zurückhalten, denn sonst ist das Spiel schon beendet, noch bevor es richtig begonnen hat. Wieder kümmere ich mich scheinbar nicht um alles, was hier steht und was ich sehe, und fahre seelenruhig weiter. Denn wenn hier schon alles radioaktiv verstrahlt ist: So schlimm kann es auch nicht sein, sonst würde der weißrussische Staat nicht sein eigenes Militär der Strahlung aussetzen.



"Bei der nächsten Kurve der Straße nehme ich, meiner Erfahrung folgend, in einer Gabel die besser aussehende Fahrbahn und lande unbeabsichtigt zu meinem Schrecken in einem modernen Militärlager, diesmal auch mit echten, lebendigen Soldaten darin. Friedlich sitzen sie, Oberkörper frei, unter dem Dach eines Hüttchens im Schatten und spielen Karten. Es hat keinen Sinn mehr zu fliehen; sie haben mich schon entdeckt und öffnen das große Tor der Einfahrt. Unschlüssig, was ich nun als Ertappter sagen soll – mich entschuldigen dafür, daß ich eine verbotene Straße gefahren bin? – spule ich erst mal meine auswendig gelernten Standardsätze herunter, um mich innerlich von meinem Schrecken zu erholen, mich wieder zu fangen: 'Strawstwujtie, izwinitje, ja turist iz Girmani, ja ni gawarju po-Russki', bemühe ich mein Talent.

Der Chef der Gruppe klopft mir anerkennend auf die Schulter. 'Ja interesujus Medvezh'e' fahre ich fort und zeige ihm ein Landkärtchen. Nun muß ich erst allen die Hände schütteln; dann nimmt mich der Älteste wortlos bei der Hand und führt mich ins Freie auf den Exerzierplatz hinaus, wo die Sicht auf den nahen Wald nicht verbaut ist. Dort beschreibt er mit Grandezza die Kurve, mit der ich das Militärlager im Südwesten und Nordwesten umfahren soll. Und dann immer 'priamo', geradeaus, dann käme ich nach Medvezh'e. Kein Wort von Verbot, kein Wort von grenznaher Zone, kein Wort von Radioaktivität. Ich bin frei! Meiner Eroberung der Enklave steht nichts mehr im Wege!
"

RF – Brjatskaja oblast' – Zlynkowskij rajon – Zlynkowskoje ROO-OOIR – Ochota bez razreschenij zapreschtschena – Sprawka w Prawlenii ROOiOOR –

R(ussische) F(öderation) – Gebiet Brjansk – Bereich Zlynka – Regionalverwaltung – Verein für Jagd und Fischerei von Zlynka – Jagd ohne Erlaubnis verboten – Bescheinigung bei der Leitung der Regionalverwaltung und dem Verein für Jagd und Fischerei

Aha, ich bin also unbemerkt nach Rußland geschlüpft – außer dem "RF" am Kopf des Schildes interessiert eigentlich nichts.

 

Das ist er, der höchste Punkt.


"Langsam fahre ich weiter nach Norden, nach allen Seiten hin auf einen 'höchsten Punkt' lauernd. Aaah, da ist einer, etwa 50 Meter nach der Einmündung, links im Feld. Etwa drei Meter erhebt sich hier ein Hügelchen über das umgebende Land. Ich steige aus und sprinte auf seinen Gipfel, um ihn zu vermessen;; er scheint mir die prominenteste Erhebung im ganzen Umland darzustellen. Möglicherweise ist der Hügel nicht ganz natürlich, sondern der Überrest einer Kolchose. Die Abkürzung 'klch.dw.' für 'Kolchoznyj dwor' = Kolchosenhof in meiner Karte deutet darauf hin. Es scheint, man habe hier den Abraum beim Abbruch der Kolchose 'Lenina put'', Lenins Weg, zu einem Hügel zusammengeschoben. Jetzt ist der sandige Hügel mit Gras überwachsen. Kleine Mauerreste stehen noch am Fuß des Hügels. Und alles strahlt radioaktiv."


Illegaler Grenzübergang! Das russische Hoheitszeichen "RF" mit dem weißrussischen Hinweis "Goslesfond Respubliki Belarus' glchu Gomel'skij leschoz' usw." – (Das "glchu" steht für Gosudarstwennoje lesochozjajstwennoje utschrezhdenije). Also: Staatliche Forstverwaltung der Republik Weißrußland Staatliches Forstamt 'Gomel'scher Waldbesitz'


 

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